RTL on Justice: Einspruch? Widerspruch?

Am 14.09.2015 lief um 23:30 Uhr bei RTL die Sendung „30 Minuten Deutschland – Justice“ mit dem Titel „Der Vater ohne Gesicht – Wenn ein Elternteil ausgegrenzt wird“.

Laut Richterin Julia Scherf hat die Sendung folgendes Ziel:

Wer vor Gericht steht, will mit seinen Sorgen und Nöten verstanden werden und begreifen, was das Gesetz zu seinem Fall sagt. Hier wollen wir helfen – indem wir die Gründe für gesetzliche Regelungen, den Sinn und den Zweck von Normen, und die Funktionsweise von Prozessordnungen erklären.

Tatsächlich ist beim Auftakt (0:01:08 – 0:02:30) von etwas Prozessualem die Rede:

Schon vor einem guten Jahr berichtete Justice über den Fall
von Uwe X. Hier ein Ausschnitt aus dem Film, der u.a. das
Schicksal von Vätern thematisierte, die ihre Kinder nicht
sehen dürfen. Herr X ist so ein Vater. Über seine Geschichte
darf er in diesem Film nur anonym sprechen. Das Landgericht
Berlin hat per einstweiliger Verfügung sein Grundrecht auf
freie Meinungsäußerung eingeschränkt. […]

(Julia Scherf, Richterin) Vor einem Jahr berichtete Justice
über das Thema Kindesentfremdung als Folge erbitterter
Trennungskriege zwischen Müttern und Vätern. Und da sind wir
mit unserer Berichterstattung zwischen die Fronten geraten.

Vor der Ausstrahlung erreichte die Redaktion eine
einstweilige Verfügung. Es ging um die Frage, ob ein Vater,
der seit fast zehn Jahren darum kämpft, seine drei Kinder
sehen zu dürfen, das Recht hat, seine Geschichte öffentlich
zu erzählen. Oder ob das nur erlaubt ist, wenn dabei sein
Gesicht – wie hier – seine Stimme und sein Name verfremdet
werden.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht.
Deswegen haben wir gegen die einstweilige Verfügung Einspruch
erhoben und vor dem Land- und Kammergericht Berlin Recht
bekommen. Der Vater darf berichten.

(Zum Film; zur Zeit noch kostenlos)

Was fällt hier prozessual auf?

Rtl-Screen

 

(Kleinigkeit zuvor: „der Antrag“ und nicht „den Antrag“. Aber ansonsten kann man sich den Tenor zu 1. gleich merken.)

Nun aber zu der Hauptfrage: Kann diese gerichtliche Entscheidung das Ergebnis eines „Einspruchs“ gegen die einstweilige Verfügung sein?

Die ZPO gibt darauf die Antwort:

§ 936 ZPO

Auf die Anordnung einstweiliger Verfügungen und das weitere Verfahren sind die Vorschriften über die Anordnung von Arresten und über das Arrestverfahren entsprechend anzuwenden, soweit nicht die nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten.

§ 924 I ZPO

Gegen den Beschluss, durch den ein Arrest angeordnet wird, findet Widerspruch statt.

Also: Wenn die einstweilige Verfügung durch Beschluss (d.h. ohne mündliche Verhandlung) ergangen ist, wendet man sich dagegen mit dem Widerspruch, nicht mit einem „Einspruch“.

(Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt: Wenn über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach mündlicher Verhandlung entschieden wurde, geschieht dies durch Urteil. Dagegen sind die normalen Rechtsmittel gegeben.)

Gibt´s auch den Einspruch in der ZPO? Ja, aber in anderem Zusammenhang: Als Einspruch gegen ein Versäumnisurteil (§ 338 ZPO) und als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid (§ 700 III ZPO).

Zum Schluss die obligatorische Frage: Ist es eine Kleinigkeit, wenn bei RTL „Einspruch“ und „Widerspruch“ verwechselt werden? In einer Sendung, die „die Funktionsweise von Prozessordnungen erklären“ will, vielleicht doch nicht. Und wie sieht´s im Examen aus? Dazu meint Tigermäulchen:

„Und im Examen würde ich mich nicht unbedingt darauf verlassen wollen, dass es wirklich niemand interessiert, ob es Einspruch oder Widerspruch heisst.“

Recht hat sie.

P.S. Nur der guten Ordnung halber sei hinzugefügt, dass es im einstweiligen Verfügungsverfahren doch einen Einspruch geben kann. Das ist dann der Fall, wenn ein Versäumnisurteil ergangen ist. Dagegen gibt es nämlich den Einspruch (§ 338 ZPO). Aber das wäre eine andere Geschichte mit einer anderen Tenorierung.

Update:

Frau Scherf hat zu dem Thema wie folgt Stellung genommen:

Rtl-Julia Scherf

Ich freue mich über die schnelle Antwort.

7 comments

  1. 123 sagt:

    Aber ist die schnelle Antwort denn auch juristisch richtig, d.h. sind „Einspruch“ und „Widerspruch“ wirklich synonyme Rechtsbegriffe, deren Verwendung – wie Frau Scherf offenbar annimmt – nicht einmal in der Zivilprozessordnung irgendeinem sachlichen Prinzip folgt?

    • klartext-jura sagt:

      Mir ging es (wie „Tigermäulchen“ :-)) darum, dass wir in Studium, Referendariat und Prüfung die gesetzliche Terminologie verwenden und zwischen „Einspruch“ und „Widerspruch“ unterscheiden sollten. Das sieht am Ende ja auch Frau Scherf so („Die Auslegung während des Studiums ist sicher enger.“). Aber man kann „Einspruch“ und „Widerspruch“ nicht als synonyme Rechtsbegriffe ansehen, denn sonst wäre § 694 II 1 ZPO nicht zu erklären („Ein verspäteter Widerspruch wird als Einspruch behandelt.“). Schließlich kann man mit Frau Scherf für die Praxis, was die Bezeichnung in einem Schriftsatz angeht, weitgehend Entwarnung geben und sich für ihre These auf den BGH berufen:
      „Die Einspruchsschrift muß allerdings nicht das Wort „Einspruch“ enthalten. Sie ist der Auslegung zugänglich. Die säumige Partei muß jedoch unzweideutig zum Ausdruck bringen, daß sie das Versäumnisurteil nicht gegen sich gelten lassen will und eine Fortsetzung des Verfahrens verlangt (RGZ 141, 347, 350; MünchKomm-ZPO/Prütting, § 340 Rdnr. 7; Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. § 340 Rdnr. 3).“
      (BGH, Urteil vom 09. Juni 1994, IX ZR 133/93, Rn. 6, juris)
      Trotzdem sollte man sich vielleicht aus Gründen des „sicheren Wegs“ nicht auf diese „Reparaturmöglichkeit“ verlassen.

      • 123 sagt:

        OK. Aber indem mit „Einspruch“ in der ZPO ein befristeter Rechtsbehelf bezeichnet wird und mit „Widerspruch“ ein unbefristeter Rechtsbehelf, steckt hinter der Begrifflichkeit eben mehr als nur gesetzgeberische Willkür.

        • klartext-jura sagt:

          Danke für die Auflösung der “Rätselfrage” :-). Nach Ihrer These wäre der Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein unbefristeter Rechtsbehelf. Mit dieser These habe ich folgende Probleme.

          1. In den Gesetzgebungsmaterialien wird der Zwei-Wochen-Zeitraum beim Zahlungsbefehl (heute: Mahnbescheid) als gesetzliche Frist bezeichnet.
          (Carl Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozessordnung:und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30.1.1877, Berlin 1880, Begründung des Entwurfs, S. 238, siehe dazu hier).

          2. § 692 Abs. 1 Nr. 4 ZPO spricht im Zusammenhang mit dem Widerspruch vom “Fristablauf”.

          3. § 694 Abs. 2 ZPO behandelt den “verspäteten Widerspruch”. “Verspätet” impliziert, dass eine Frist verstrichen ist.

          4. In der Literatur wird der 2-Wochen-Zeitraum in § 692 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als “Frist” bezeichnet, so z.B. bei Schellhammer, Zivilprozess, 14. Aufl. 2012 Rn. 1882 (“Der Widerspruch ist befristet.“)

          Natürlich hat diese Frist ihre Besonderheiten. So ist sie z.B. keine Ausschlussfrist (vgl. Schellhammer, a.a.O.). Aber wer feststellt, dass es sich nicht um eine Ausschlussfrist handelt, bestätigt ja den Fristcharakter des 2-Wochen-Zeitraums.

          Also hätten wir bei dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid im Ergebnis einen Rechtsbehelf mit einer besonderen Fristart vor uns.

          • 123 sagt:

            Klar ist die „Widerspruchsfrist“ beim Mahnbescheid eine gesetzliche Frist. Aber beschränkt sie wirklich die Zulässigkeit des Widerspruchs oder nicht vielmehr die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids (§ 699 I S. 2 ZPO)? Und bedeutet „verspätet“ i.S.v. § 694 II ZPO bzw. „nicht rechtzeitig“ i.S.v. § 696 I ZPO wirklich, dass die Widerspruchsfrist verstrichen ist, oder geht es nicht vielmehr darum, dass mittlerweile der Vollstreckungsbescheid ergangen ist?

          • klartext-jura sagt:

            Danke für die kleine ZPO-Stunde. Diese Konstruktion gefällt mir. Danach wäre der Satz „Der Widerspruch ist befristet.” konstruktiv falsch. So steht es nun aber nicht nur bei Schellhammer, sondern auch an vielen anderen Stellen. Das hat mich wahrscheinlich zu meiner Konstruktion geführt. Aber das Thema werde ich bestimmt nicht aus den Augen verlieren.

  2. klartext-jura sagt:

    Dankenswerterweise hat der C.F. Müller-Verlag meine Frage Herrn Schellhammer vorgelegt. Herr Schellhammer hat wie folgt geantwortet:

    „Der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil oder einen Vollstreckungsbescheid ist stets befristet.

    Befristet ist auch der Widerspruch gegen den Mahnbescheid,

    unbefristet dagegen der Widerspruch gegen einen Arrestbefehl oder eine einstweilige Verfügung, die das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss erlassen hat.“

    Auch dafür mein Dank.

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