„Mit Verlaub Herr Oberstaatsanwalt, das wird Sie den Kopf kosten.“

staatsanwalt_zdfWas tut eine Anwältin angesichts einer Kanzlei-Durchsuchung? Sie droht mit einer Verfassungsbeschwerde. So geschehen in der ZDF-Sendung „Der Staatsanwalt – Gefangen und erpresst“ vom 12.11.2016.

22:54:

Rechtsanwältin Kuberzig: „Mit Verlaub Herr Oberstaatsanwalt, das wird Sie den Kopf kosten. Ich werde Verfassungsbeschwerde einreichen.“

Der Staatsanwalt: „Wenn Ihnen danach ist.“

Was ist davon zu halten, dass hier offensichtlich angenommen wird, die Verfassungsbeschwerde sei ein geeignetes Mittel, um sich direkt beim Bundesverfassungsgericht gegen eine Durchsuchung zu wehren?

Für die Antwort muss man zunächst Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG betrachten. Danach kann ein Bundesgesetz

[…] für Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen.

In § 90 Abs. 2 BVerfGG wird eine solche Voraussetzung aufgestellt (Rechtswegerschöpfung):

Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

Es stellt sich also zunächst die Frage, ob es gegen einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss einen Rechtsweg gibt. Das ist der Fall. § 304 Abs. 1 StPO sieht dafür die Beschwerde vor:

Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

Da eine der in § 90 Abs. 2 BVerfGG vorgesehenen Ausnahmen („allgemeine Bedeutung“ oder „schwerer und unabwendbarer Nachteil“) nicht vorliegt, wäre eine von Rechtsanwältin Kuberzig eingelegte Verfassungsbeschwerde also unzulässig, da sie vorher den vorhandenen Rechtsweg nicht ausgeschöpft hat.

Man könnte aber auf folgenden Gedanken kommen: Sollte sich Rechtsanwältin Kuberzig dazu entschließen, vom Plan der Verfassungsbeschwerde Abstand zu nehmen und Beschwerde zu erheben, so wäre mutmaßlich die Durchsuchung zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen. Könnte es sein, dass dieser Umstand den Beschwerdeweg ausschließt? Wenn dem so wäre, gäbe es keinen vor der Verfassungsbeschwerde zu erschöpfenden Rechtsweg. Früher hat man tatsächlich bei bereits abgeschlossener Durchsuchung die Beschwerde wegen „prozessualer Überholung“ für unzulässig gehalten. Das ist aber heute auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr möglich:

Gemäß §§ 304 ff. StPO ist gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung eine Beschwerde statthaft. Die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde ist vom angerufenen Fachgericht unter Beachtung der soeben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beurteilen. Danach darf eine Beschwerde nicht allein deswegen, weil die richterliche Anordnung vollzogen worden sei und die Maßnahme sich deshalb erledigt habe, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden (BVerfGE 96, 27 <41>).

BVerfG, Beschl. v. 05.07.2013, 2 BvR 370/13, Rn. 20

Nun kommt der schwierigste Teil der Angelegenheit. Wie wäre der eingangs zitierte Dialog umzuschreiben? Hier ein Vorschlag:

Rechtsanwältin Kuberzig: „Mit Verlaub Herr Oberstaatsanwalt, das wird Sie den Kopf kosten. Ich werde Beschwerde erheben.“

Der Staatsanwalt: „Wenn Ihnen danach ist.“

Oder so ähnlich.

2 comments

  1. […] ZDF-Krimis”:   – Dimitrios Schulze oder: Die Dehnbarkeit des Rechts   – “Mit Verlaub, Herr Oberstaatsanwalt, das wird Sie den Kopf kosten”    – “Der Staatsanwalt” zu Mord und Totschlag Hier geht´s direkt zu: […]

  2. […] 10. Juli 2017 Zivilrecht Keine Kommentare   Der Staatsanwalt: Sie vertreten Bake und Buchholz in juristischen Angelegenheiten?   Rechtsanwalt Dr. Öttinger: Ja, richtig.   Der Staatsanwalt: Frau Bake hat mir erzählt, hier wäre auch ein Testament hinterlegt. Es wäre für unsere Ermittlungen sehr hilfreich, wenn Sie mir sagen könnten, wie der Nachlass geregelt ist.   Rechtsanwalt Dr. Öttinger: Also gut, unter Kollegen. Herr Buchholz und Herr Bake haben sich gegenseitig als Alleinerben des Firmenvermögens eingesetzt. Im Falle des gemeinsamen Versterbens der beiden würde das gesamte Vermögen an Frau Bake fallen.   Der Staatsanwalt: Ja. Ich habe gehört, dass sich Herr Bake von Herrn Buchholz trennen wollte. Ihm gehören doch die meisten Anteile an der Firma?   Rechtsanwalt Dr. Öttinger: Ja, das stimmt. Dass die beiden sich trennen wollten, davon weiß ich nichts.   Der Staatsanwalt: Wie hoch ist ungefähr das Gesamtvermögen?   Rechtsanwalt Dr. Öttinger: Schwer zu sagen, aber ein paar Millionen kommen da schon zusammen. (Der Staatsanwalt – Blinde Gier, 29.06.2017, 20.15 Uhr, 14:07)   Hat das erbrechtlich Hand und Fuß?   Wenn es in tatsächlicher Hinsicht zutrifft, dass “ein Testament” in Rede steht, können Herr Bake und Herr Buchholz sich nicht gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben. Denn ein gemeinschaftliches Testament können nur Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner errichten:   § 2265 Errichtung durch Ehegatten   Ein gemeinschaftliches Testament kann nur von Ehegatten errichtet werden. § 10 LPartG   (4) Lebenspartner können ein gemeinschaftliches Testament errichten. Die §§ 2266 bis 2272 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. (Lebenspartner sind Bake und Buchholz nicht. Herr Bake ist mit Frau Bake verheiratet.)   Es gibt noch ein weiteres Problem. Das fragliche Testament ist angeblich bei Rechtsanwalt Dr. Öttinger “hinterlegt”. Wir wissen nicht genau, ob von einem eigenhändig errichteten Testament oder von einem notariell errichteten Testament die Rede ist. Betrachten wir also beide Fälle.   Beim eigenhändig errichteten Testament ist die Verwahrung in § 2248 BGB geregelt: Ein nach § 2247 errichtetes Testament ist auf Verlangen des Erblassers in besondere amtliche Verwahrung zu nehmen. Für das notariell errichtete Testament gilt § 34 Abs. 1 BeurkG: Die Niederschrift über die Errichtung eines Testaments soll der Notar in einen Umschlag nehmen und diesen mit dem Prägesiegel verschließen. In den Umschlag sollen auch die nach den §§ 30 und 32 beigefügten Schriften genommen werden. Auf dem Umschlag soll der Notar den Erblasser seiner Person nach näher bezeichnen und angeben, wann das Testament errichtet worden ist; diese Aufschrift soll der Notar unterschreiben. Der Notar soll veranlassen, daß das Testament unverzüglich in besondere amtliche Verwahrung gebracht wird. Wir sehen: Nichts mit Hinterlegung beim Rechtsanwalt.   P.S. Noch mehr zum Recht im Fernsehspiel:   “Mit Verlaub Herr Oberstaatsanwalt, das wird Sie den Kopf kosten.” […]

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