Mats Hummels und die „Herberger-Grätsche“

Ich kann es nicht lassen: Nach dem Weißbier nun der Fußball als Gegenstand einer juristischen Begleitreflexion mit der Frage nämlich: Hat Mats Hummels im Spiel gegen die Slowakei gestern zu Recht (!) in der 66. Minute die Gelbe Karte erhalten?

Hummels-1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: www.zdf.de

Die Antwort hängt von der Qualifikation der Hummelschen-Aktion ab. Dieser hat in der betreffenden Spielsituation eine Grätsche zum Ball ausgeführt, den er auch direkt getroffen hat. Erst danach fiel sein slowakischer Gegenspieler Sestak hin.

Regel12

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Niedersächsischer Fußballverband eV

Folgt man der etablierten Auslegung von Regel 12 (Verbotenes Spiel und unsportliches Betragen) ist davon eine Aktion erfasst, durch die beim Tackling der Gegenspieler vor dem Ball berührt wird. Nicht erfasst wird also im Unterschied dazu eine Aktion, durch die beim Tackling der Ball vor dem Gegenspieler berührt wird. Die so charakterisierte Aktion hatte einstmals als „Herberger-Grätsche“ die Fußball-Bühne betreten. Sie ist allerdings nur zulässig, wenn nicht einer der anderen in Regel 12 genannten Tatbestände einschlägig ist.

Bis hierhin war das Ganze eine Regelfrage und keine Rechtsfrage. Eine Rechtsfrage würde es erst, wenn es zu einer Verletzung gekommen wäre (was ja glücklicherweise gestern nicht der Fall war). Dann würden folgende Grundsätze gelten, die wir uns sogleich für denkbare Fußball-Klausuren merken können:

Es ist aber nicht feststellbar, daß der Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht nicht jede Verletzung einer dem Schutz des Spielers dienenden Fußballregel dafür, daß der Spieler fahrlässig im Sinne des § 276 BGB gehandelt hat. Liegt nur ein geringfügiger Regelverstoß im Grenzbereich zwischen erlaubter Härte und Unfairneß vor, ist weiter zu prüfen, ob in der konkreten Spielsituation ein die Gefahr vermeidendes Verhalten zuzumuten war (BGH NJW 1976, 957 (958), NJW 1976, 2161 (2162)). Das Oberlandesgericht Hamm hat zu einer vergleichbaren Fallkonstellation (Grätsche) ausgeführt, ein Verschulden im Sinne von § 276 BGB sei regelmäßig zu verneinen, wenn das Grätschen in die Beine des Gegners von dem subjektiven Bemühen getragen sei, den Ball zu erreichen und die objektive Möglichkeit hierzu nicht offensichtlich ausgeschlossen sei (S.5/6 des Urteils v. 1.10.1996, Aktenzeichen 9 U 122/96). Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an.

(OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Oktober 1999 – 22 U 73/99 –, Rn. 3, juris)

In diesen Feststellungen ist die Definition der Herberger-Grätsche enthalten („wenn das Grätschen in die Beine des Gegners von dem subjektiven Bemühen getragen sei, den Ball zu erreichen und die objektive Möglichkeit hierzu nicht offensichtlich ausgeschlossen sei“). Bei deren korrekter Ausführung ist übrigens nach Ansicht des OLG Celle ein Bruch des Schienbeinschützers kaum möglich (OLG Celle, 25.01.1989, 9 U 240/87, juris, Orientierungssatz 2).

Hoffen wir, dass eine solche Situation beim nächsten Spiel (Sepp Herberger: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“) der deutschen Mannschaft nicht spielentscheidend sein wird. Der Gegner steht zwar momentan noch nicht fest. Folgt man aber dem Andreas Möller zugeschrieben Kultspruch, den er nach eigener Aussage gar nicht geäußert hat, so müsste der Gegner Italien heißen, denn:

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“

Auf jeden Fall hoffe ich, dass das Herberger-Diktum zutrifft:

„Der Ball ist rund, und das Spiel dauert 90 Minuten.“

Denn eine Verlängerung mit Elfmeter-Schießen wünschen wir uns ja wirklich alle nicht.

(Siehe zu Sepp Herberger-Zitaten hier)

5 comments

  1. Besonders eisenharte Verteidiger sagt:

    Wir, die wir zusammen mit dem Chef damals die „Herberger-Grätsche“ entwickelt und vervollkommnet haben, sind empört: Unsere Namen, die Sie nie ohne das Attribut „eisenhart“ lesen werden, werden in den Schmutz gezogen, indem Sie die „Herberger-Grätsche“ in einem Atemzug mit dem Warmduscher-Tackling dieses Schönlings Hummels nennen. Was wir praktiziert haben, heißt heute „Blutgrätsche“, und das ist auch gut so.

    W. Liebrich & W. Kohlmeyer

    • klartext-jura sagt:

      Hat Ihnen der Chef nicht gesagt, dass er die Art, wie Horst Szymaniak „seine“ Grätsche praktizierte, der von Ihnen angesprochenen Form vorzog? Darüber wollte der Chef sogar einen Lehrfilm drehen (https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Szymaniak). Aber vielleicht tröstet Sie das, was Szymaniak zu Franz Beckenbauer gesagt haben soll: „Wir sind die letzten Helden des 20. Jahrhunderts; nach uns kommen nur noch Spieler aus Kunststoff.“ (a.a.O.)

  2. Besonders eisenharter Verteidiger sagt:

    Sie können ja mal den Herrn Puskás fragen, wie dem meine „Herberger-Grätsche“ bekommen ist, damals in Basel. Wenn ich mich recht entsinne, hat der bis zum Finale kein Bein mehr auf den Boden gekriegt. Und dem Chef war’s recht, natürlich.

    W. Liebrich

  3. […] in der Nationalmannschaft keine Wiederholungsgefahr droht ;-). Anders dürfte das bei Mats Hummels aussehen, was das Risiko der Grätsche angeht. Denn mit dessen weiterem Wirken in der […]

  4. […] “Recht” verstehen will. Gehört etwa ein Buch über die Fußball-Regeln, von denen hier ja schon die Rede war, zum […]

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