Das Bundesverfassungsgericht zum ministeriellen „Gegenschlag“: Politisch eine Katastrophe?

Erfreulicherweise hat Marco B. mich in der Kategorie „Vorschläge“ auf ein interessantes Thema hingewiesen, nämlich den Kommentar von Rainer Burchardt im Deutschlandfunk zur aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend das Neutralitätsgebot bei Ministeräußerungen zu politischen Parteien.

Der Kommentator titelt „Politisch eine Katastrophe“ und folgert:

Das Ministergesetz, das Minister zur Neutralität verpflichte, bedürfe einer schleunigen Revision.

Außerdem stellt Burchardt fest:

Artikel fünf des Grundgesetzes als Garant der Meinungsfreiheit gilt doch wohl auch für Regierungsmitglieder.

Überzeugend?

Konsultiert man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 27.02.2018, 2 BvE 1/16), so wird deutlich, dass darin vom Ministergesetz nicht die Rede ist, und das aus gutem Grund. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert nämlich nicht mit diesem Gesetz. Es befasst sich vielmehr mit der aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG folgenden Neutralitätsverpflichtung des Staates gegenüber politischen Parteien:

Die Antragsgegnerin hat durch die Verbreitung ihrer Presseerklärung auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums den Grundsatz der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb missachtet und dadurch das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Die Presseerklärung beinhaltet sowohl einseitig negative Bewertungen der Antragstellerin als auch den Versuch, das Verhalten potentieller Teilnehmer an der für den 7. November 2015 geplanten Demonstration zu beeinflussen.

Der zweite Gedanke, Art. 5 Abs. 1 GG müsse als Garant der Meinungsfreiheit wohl auch für Regierungsmitglieder gelten (s.o.) ist gleichfalls nicht aufrecht zu erhalten. Die Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Ein Minister kann sich als Hoheitsträger grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen. Man bezeichnet dies als „Konfusionsargument“. Dazu das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 02.05.1967, 1 BvR 578/63, BVerfGE 21, 362, 369 f.):

Wenn die Grundrechte das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt betreffen, so ist es damit unvereinbar, den Staat selbst zum Teilhaber oder Nutznießer der Grundrechte zu machen; er kann nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte sein.

Übrigens: Die beiden angesprochenen Fragestellungen tauchen häufig in Examensklausuren auf.

P.S. Im Kommentar ist noch zu lesen:

Schon längst wird auch in der deutschen Politik mehr geklotzt als geklettert, die Regierung muss sich mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen unflätige Attacken von wem auch immer wehren können.

„Mehr geklotzt als geklettert“? Vorschlag stattdessen: Mehr geklotzt als gekleckert.

2 comments

  1. Andreea sagt:

    Sehr schön zusammengefasst! Sie meinten bestimmt aber das „Konfusionsargument“.

    • klartext-jura sagt:

      Ja, danke für die Korrektur. Da habe ich mich im Ausdruck vergriffen und entschuldige mich für eine dadurch möglicherweise entstandene Konfusion :-). Damit kein Schaden entsteht, habe ich die Terminologie im Beitrag korrigiert.

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