Krankheit im Urlaub – Frist für das ärztliche Attest?

Der heute zu besprechende Fall ist mir aktuell begegnet. Und ich wurde wie üblich mit dem Satz „Du bist doch Juristin …“ um eine Einschätzung gebeten.

Es geht um folgenden Sachverhalt: Eine Ärztin erkrankt im Urlaub. Sie reicht das ärztliche Attest über ihre Erkrankung am dritten Tag nach Krankheitsende bei ihrem Dienstvorgesetzten ein (nicht per SMS oder Whatsapp, sondern in Papierform) und beantragt, die durch Krankheit ausgefallenen Urlaubstage in ihrem Urlaubsbudget zu belassen (Antrag auf Nachgewährung des entgangenen Urlaubs). Die zuständige Personalabteilung lehnt diesen Antrag ab und vertritt unter Bezugnahme auf § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) die Auffassung, dass das Attest über die Arbeitsunfähigkeit bereits ab dem ersten Krankheitstag vorgelegt werden müsse. Dem entsprechend sei wegen Fristversäumnis der Antrag auf Nachgewährung des entgangenen Urlaubs abschlägig zu bescheiden.

Wie ist die Rechtslage?

„Wie ist die Rechtslage?“ erweist sich hier ausnahmsweise einmal als eine leicht zu beantwortende Frage. Aber der Reihe nach.

Der Hinweis der Personalabteilung auf § 9 BUrlG verwirrt zunächst. Die Vorschrift lautet:

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

Von einer Frist für die Vorlage des ärztlichen Zeugnisses ist da nicht die Rede. Auch die Suche im näheren Umfeld von § 9 BUrlG („Dunstkreistheorie„) erbringt nichts für eine das ärztliche Zeugnis betreffende Vorlagefrist. Aber woher kommt dann die Vorstellung der Personalabteilung von einer – noch dazu eintägigen – Vorlagefrist? Möglicherweise hat dabei das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) inspirierend gewirkt. Denn dort heißt es in § 5 Abs. 1 zu den Anzeige- und Nachweispflichten:

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.

Schon bei Betrachtung des Wortlauts melden sich hier Zweifel, ob diese Regelung auf die Situation „Krankheit im Urlaub“ übertragbar ist. Denn wie soll es denn im Urlaub einen „darauffolgenden Arbeitstag“ geben? Und so ist man sich in (juristisch seltener) Übereinstimmung einig, dass bei Krankheit im Urlaub das Entgeltfortzahlungsgesetz nicht einschlägig ist und dass es in Ermangelung einer Fristvorschrift für die Einreichung des nach § 9 BUrlG erforderlichen ärztlichen Attests eben keine Frist für diese Einreichung gibt. Dazu ein paar Belege:

Solange die Bescheinigung nicht vorgelegt wird, braucht der AG nicht nachzugewähren. Der AN kann somit mittelbar auf die Nachgewährung verzichten, indem er keinen Nachweis vorlegt. Eine Vorlagefrist ist gesetzlich nicht bestimmt. Die Regeln des EFZG gelten nicht entsprechend.

(NK-ArbR/Franz Josef Düwell, 1. Aufl. 2016, BUrlG § 9 Rn. 23)

Eine Frist zur Vorlage des ärztl. Attests schreibt das G für die Nachgewährung nicht vor. Die Regeln des EFZRechts über die Anzeige- und Nachweispflichten sind nicht entspr. anwendbar

(ErfK/Gallner, 19. Aufl. 2019, BUrlG § 9 Rn. 5)

Eine bestimmte Vorlagefrist enthält das Gesetz nicht. Insofern ist der AN nur gehalten, den Nachweis noch vor Ablauf des Kalenderjahres zu erbringen, weil sonst der Nachgewährungsanspruch wie der Urlaubsanspruch selbst verfallen kann.

(Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, BUrlG § 9 Rn. 9, beck-online)

Summa summarum: Die Personalabteilung irrt mit ihrer Argumentation. Fragt sich, wie viele Urlaubstage wegen dieser Fehleinschätzung dem Klinikpersonal bisher verlorengegangen sind.

4 comments

  1. Antarmis sagt:

    Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 EntgFG spricht von einer Arbeitsunfähigkeit.

    Regelmäßig ist unter dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit ein die körperliche Gesundheit des Arbeitnehmers beeinträchtigendes Hindernis zu verstehen, das ihm die geschuldete Tätigkeitsausübung erfolgreich verwehrt. Dieser Umstand tritt entweder vor, während oder nach der beruflichen Tätigkeit ein und wirkt, sofern er anhält, auf denjenigen Arbeitstag fort, der diesem darauffolgt.

    Der Urlaub eines Arbeitnehmers dient jedoch gerade der Erholung von der Arbeit und kann insoweit keine Tätigkeitsausübung im Sinne irgendeiner Vertragsverpflichtung oder -erfüllung sein. Wenn nun der Urlaub nicht als Arbeit zu verstehen ist, dann kann eine Erkrankung im Urlaub, gem. § 5 Abs. 1 EntgFG, auch nicht die Arbeitsunfähigkeit als „Verhinderungsgrund für die berufliche Tätigkeit“ umfassen.

    Es fehlt also im Krankheitsfall im Urlaub an einem wesentlichen Tatbestandsmerkmal, nämlich an der gegenwärtigen Tätigkeitsausübung.

    Daher erscheinen zwei Gedankengänge durchaus legitim.

    1. § 5 Abs. 1 EntgFG ist nicht entsprechend auf den Krankheitsfall im Urlaub anzuwenden. Somit entfallen insbesondere die dortigen Fristen für die Nachweispflicht des Arbeitnehmers, der in seinem Urlaub erkrankt ist, gänzlich.

    2. § 9 BUrlG, soweit die „Arbeitsunfähigkeit“ sich lediglich auf den Urlaubszeitraum beschränkt, löst Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem EntgFG aufgrund folgender Erwägung aus:

    Schutzfiktion für das Bestehen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach dem EntgFG i.V.m. § 9 BUrlG.

    Hätte der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht wahrgenommen oder ihn zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig aufgebraucht, so wäre er in diesem Zeitpunkt vor, während oder nach seiner beruflichen Verpflichtung sicherlich arbeitsunfähig erkrankt und müsste daher im Rahmen des EntgFG nicht auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten, soweit die Voraussetzungen aus § 3 EntgFG erfüllt sind.

    Diese Fiktion ließe sich durch die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten zum Schutz der Arbeitnehmer begründen.

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