Der „schlampige Korrektor“, oder: Korrektoren soll man nicht „beleidigen“!

In der JA 2014, 754ff geht es in der Examensklausur „Studienprobleme“ von Heger u.a. um die Beleidigung, § 185 StGB, und die Verleumdung, § 187 StGB.

Auf Seite 755f heißt es:

J behauptet wider besseres Wissen, dass A als „schlampiger Korrektor“ drei Seiten nicht berücksichtigt hat. Allerdings dürfte diese unwahre Tatsache nicht geeignet sein, den A in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, denn öffentliche Meinung ist nur die eines größeren individuell unbestimmten Kreises (Lackner/Kühl/Kühl aaO § 186 Rn. 4) und außer P (und evtl. A, wenn J eine Rückfrage bei diesem billigend in Kauf genommen hat) sollte niemand davon erfahren. Daher scheidet eine Strafbarkeit gem. § 187 StGB aus.

Wenn wir diese Subsumtion nachvollziehen wollen, müssen wir zunächst einen Blick in den § 187 StGB werfen:

Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Als Beleg ist bei Heger der Kommentar Lackner/Kühl/Kühl aaO § 186 Rn. 4 angegeben. Also müssen wir da einmal reinschauen:

Öffentliche Meinung ist die eines größeren, individuell unbestimmten Kreises.

Jetzt können wir versuchen die Subsumtion nachzuvollziehen. Problematisch ist folgender Satz:

Allerdings dürfte diese unwahre Tatsache nicht geeignet sein, den A in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, denn öffentliche Meinung ist nur die eines größeren individuell unbestimmten Kreises […] und außer P (und evtl. A, […]) sollte niemand davon erfahren.

Katze1Hier stellt sich mir dann folgende Frage: Im § 187 StGB heißt es doch nur, dass die unwahre Tatsache geeignet (!) sein muss, den anderen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Es kommt also nicht darauf an, ob ein großer individuell unbestimmter Kreis tatsächlich von der Tatsachenbehauptung erfährt. Entscheidend ist vielmehr ein anderer Aspekt, nämlich ob die öffentliche Meinung die Tatsachenbehauptung als ehrherabsetzend bewerten würde.

Regge/Pegel schreiben zu dieser Frage im MüKo, StGB, 2012, § 186 StGB, Rn. 15:

Es genügt die bloße Eignung der Tatsache, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Ein solcher Erfolg braucht nicht einzutreten. § 186 ist nach hM ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Daher kommt es auch nicht auf die konkreten Umstände der Äußerung und ihren Empfängerhorizont im Einzelfall an, denn für § 186 ist nicht auf die Behauptung selbst, sondern auf eine auf die Person des Betroffenen bezogene Eignung der behaupteten Tatsache abzustellen.

Dafür, dass nicht schon für den Grundtatbestand des § 187 StGB ein größerer, individuell unbestimmter Kreis von der Tatsachenbehauptung Kenntnis erlangen muss, spricht auch, dass sonst die Qualifikation („und, wenn die Tat öffentlich, […] begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“) praktisch leerlaufen würde.

Auf Seite 756 prüft Heger dann eine Beleidigung. Dazu schreibt er:

Dagegen genügt für eine Beleidigung des A, dass J gegenüber diesem oder einem anderen (hier: P) eine unwahre Behauptung aufstellt (hier: A habe drei Seiten nicht gelesen) und dadurch ihre Missachtung oder Nichtachtung zum Ausdruck bringt.

Dieser Satz ist problematisch. Bei den §§ 185ff StGB ist einerseits zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zu differenzieren und andererseits zwischen Zwei- und Dreipersonenverhältnissen. Über diese Abgrenzungskriterien können dann die §§ 185ff StGB voneinander unterschieden werden. Die Systematik der Beleidigungsdelikte ist bei Bernd Heinrich sehr übersichtlich dargestellt (er hat auch viele weitere Online-Materialien, mit denen es sich sehr gut lernen lässt!):

Systematik der Beleidigungsdelikte

Wir müssen nun unsere Fallkonstellation in der Tabelle suchen (Ausgangspunkt muss natürlich immer das Gesetz sein, aber Bernd Heinrich hat das Gesetz hier anschaulich in tabellarischer Form wiedergegeben). Also nochmal die Subsumtion von Heger in Erinnerung rufen:

Dagegen genügt für eine Beleidigung des A, dass J gegenüber diesem oder einem anderen (hier: P) eine unwahre Behauptung aufstellt […].

Bei uns geht es um die Behauptung einer Tatsache, die unwahr ist. Wir sind also in der letzten Zeile. Heger prüft eine unwahre Tatsachenbehauptung gegenüber zwei Personen auf einmal, wobei die fragliche Äußerung einmal gegenüber dem Opfer erfolgt und einmal gegenüber einem Dritten. Wir sehen: Das sind in der Tabelle zwei verschiedene Spalten. Gegenüber dem Opfer (dem Beleidigten) führt das tatsächlich zu § 185 StGB, der dann zu prüfen ist. Gegenüber einem Dritten müssten wir aber in die dritte Spalte und damit § 187 StGB prüfen.

Ich würde nicht empfehlen, diese Tabelle auswendig zu lernen. Sie ist in Klausuren als gedankliche Ordnungsstruktur dennoch sehr hilfreich. Idealerweise versucht man, den Inhalt des Gesetzes selbst in die Tabelle zu übertragen. Schnell wird man merken, dass das keine große Kunst ist, sondern leicht jederzeit reproduziert werden kann. So vermeidet man dann ein drohendes Durcheinander in der eigenen Klausur und behält den Durchblick.

Auch für die Prüfung von Heger zu § 271 StGB noch ein Tipp. Er schreibt dazu auf S. 756:

K könnte bewirkt haben, dass in einer öffentlichen Urkunde der J das Bestehen der Klausur attestiert wird. Voraussetzung ist, dass es sich in dem von P unterzeichneten Übungsschein um eine öffentliche Urkunde handelt. Das setzt voraus, dass der Schein von einer Behörde oder einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb ihrer sachlichen Zuständigkeit in der vorgeschriebenen Form aufgenommen worden ist.

Der Gutachtenstil wird hier vorbildlich praktiziert. Wir sollten aber nicht mehr auswendig lernen, als absolut notwendig. Im Satz 2 schreibt Heger:

Voraussetzung ist, dass es sich in dem von P unterzeichneten Übungsschein um eine öffentliche Urkunde handelt.

Folgen müsste dann die Definition einer „öffentlichen Urkunde“. So verfährt Heger auch. Aber was ist eine öffentliche Urkunde? Das steht in § 415 ZPO. Wir sollten also nicht versuchen, eine Definition auswendig zu lernen, sondern in der Klausur § 415 ZPO heranziehen, denn so macht es auch der BGH: BGH, Urteil vom 11.6.1963 – 1 StR 463/62, NJW 1963, 1630 (1631):

Welche Urkunden als öffentliche Urkunden gelten, ist – auch für das Strafrecht (RGSt. 71, 101, 102) – durch § 415 ZPO bestimmt.

Ich hoffe, dass anhand dieses Beitrags eines deutlich wurde: Mit etwas Grundverständnis für die Systematik ist wesentlich weniger auswendig zu lernen. Und – so ging es mir zumindest immer: Was man einmal systematisch verstanden hat, vergisst man seltener bzw kann es schnell rekonstruieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert