Archiv für Mai 2019

§ 713 ZPO und die Möglichkeit der Anschlussberufung

Die Fälle von Jochen Wallisch und Günter Spinner zur Tenorierung zivilgerichtlicher Entscheidungen (JuS 2006, 799 ff.) genießen auch zwölf Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch große Beliebtheit in der Referendarausbildung. Heute möchte ich einen dieser Fälle vorstellen, den ich anders lösen würde. Der Fall lautet wie folgt:

Fall 7: K verklagt B auf Zahlung von 9000 Euro. Im Termin am 25. 1. 2006 erscheint K nicht. Antragsgemäß ergeht stattgebendes Versäumnisurteil gegen K, gegen welches dieser Einspruch einlegt. Die Klage erweist sich hierauf als begründet.

(JuS 2006, 799, 802)

In der Lösung heißt es dann:

Endurteil

I. Das Versäumnisurteil vom 25. 1. 2006 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9000 Euro zu zahlen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis im Termin vom 25. 1. 2006 entstandenen Kosten, die der Kläger zu tragen hat.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung i. H . von 120% des zu vollstreckenden Betrages.

(JuS 2006, 799, 802)

Zur Erläuterung führen die Autoren an:

Auf Seiten des B ist zu berücksichtigen, dass ihm an Säumniskosten regelmäßig nur eine halbe zusätzliche Gebühr für seinen Anwalt gem. Nr. 3105 VV RVG entstanden ist, d.h. die dem B entstandenen und vollstreckbaren Säumniskosten mithin i.d.R. eher gering sind (vorliegend 224,50 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer = 260,42 Euro), erfolgt insoweit die Vollstreckbarkeitserklärung regelmäßig ohne Sicherheitsleistung und Schutzanordnung (§§ 708 Nr. 11, 713 ZPO).

(JuS 2006, 799, 802)

Worüber könnte man hier nachdenken?

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Fotografieren in der Wahlkabine – keine gute Idee

Update (25.05.2019):

Morgen ist Europa-Wahl. Auch dort gibt es eine Regelung für das Fotografieren in der Wahlkabine, nämlich § 49 Abs. 6 S. 1 Nr. 5 lit. a der Europawahlordnung (EuWO):

Der Wahlvorstand hat einen Wähler zurückzuweisen, der 
… für den Wahlvorstand erkennbar in der Wahlkabine fotografiert oder gefilmt hat …

Wird doch fotografiert, tritt die Rechtsfolge aus § 49 Abs. 8 EuWO ein:

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Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung?

Tempel/Graßnack/Kosziol/Seyderhelm, Materielles Recht im Zivilprozess, 6. Aufl. 2014 schreiben in § 23 Rn. 86:

Eine Reservierungsvereinbarung durch Individualvereinbarung sollte zugelassen werden. Anderer Ansicht zufolge ist die Reservierungsvereinbarung per se bereits, da ohne Wert, sittenwidrig und damit nichtig. Der Rechtsprechung zufolge ist die Vereinbarung nur sittenwidrig, wenn sie auf unbestimmte Dauer abgeschlossen wird oder der Kunde nur zur Zahlung eines unangemessen niedrigen Kaufpreis bereit ist und dies den Parteien der Reservierungsvereinbarung bewusst war.

[…]

Eine Lösung des Maklers von der Reservierungspflicht müsste über § 323 BGB (Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung) erfolgen.

Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung? Gehört habe ich die Formel schon, aber nur im Gespräch mit einem älteren Juristen. Das spricht nicht unbedingt gegen die Formel, lädt aber zu einer näheren Betrachtung ein.

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Sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen über Kosten: 100 Euro oder 200 Euro?

Anders/Gehle schreiben in dem Werk „Das Assessorexamen im Zivilrecht“ (13. Aufl. 2017) auf Seite 441:

Sind dem Beschwerdeführer nach § 91a I die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden und übersteigen diese einen Betrag von 100 EUR nicht, ist die Beschwerde nach § 567 II nicht zulässig.

Da man jede Norm nachschlagen sollte, also ein Blick in § 567 II ZPO. Dort heißt es:

Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

200 Euro? Aber Anders/Gehle schreiben doch 100 Euro. Habe ich etwas übersehen?

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Subsumtionsalarm: Der Dietrich als falscher Schlüssel?

Beim Studieren der Fall-Lösung „Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: AT und Eigentumsdelikte – Zwei Villen und ein Bankautomat“ von Poschadel/Sigmund (JuS 2019, 366 ff.) bin ich ins Grübeln geraten. In dem dort behandelten Fall geht um es u.a. darum, dass in Freiburg-Herdern in einer Villengegend eine Tür zu Einbruchszwecken mit einem Dietrich geöffnet wurde. Der Tatplan sah wie folgt aus (und wurde auch so umgesetzt):

Sie [die beiden Akteure, M.H.] könnten dann zu einer Wohnung gelangen, deren Bewohner gerade abwesend sind, sicherheitshalber an deren Tür klopfen und diese dann mithilfe eines Dietrichs öffnen, den A einmal von ihrem Ex-Freund geschenkt bekommen hat.

(JuS 2019, 366)

Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob es heute in einer Villen-Gegend noch Türen ohne Zylinderschloss gibt, die man mit einem Dietrich öffnen kann. Da man den Sachverhalt in einer Klausur als gegeben anzunehmen hat, muss man dies als faktisch maßgeblich erachten. Es fragt sich aber in juristischer Hinsicht, ob das Öffnen einer Tür mit einem Dietrich unter die Fallvariante „mit einem falschen Schlüssel“ subsumiert werden kann, wie dies folgendermaßen in der Fall-Lösung geschieht:

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