Zuständigkeitsverteilung zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten und EuGH: Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis

Cathrin Mächtle schreibt in der JuS 2015, 314 (315):

Die Prüfung der Erforderlichkeit und Erheblichkeit einer Vorlage obliegt dem mitgliedstaatlichen Gericht und ist der Nachprüfung durch den EuGH entzogen.

Wir halten fest: (1) Die Prüfung der Erforderlichkeit und Erheblichkeit einer Vorlage ist der Nachprüfung durch den EuGH entzogen.

Im darauf folgenden Satz heißt es dann:

Im Rahmen der Prüfung seiner Zuständigkeit untersucht der EuGH nur, ob die Fragen zu allgemeiner oder rein hypothetischer Natur sind, keinen Zusammenhang mit der Realität aufweisen oder ihre Beantwortung offenkundig nicht für das Verfahren erforderlich wäre.

Daraus folgt: (2) Der EuGH untersucht u.a., ob die Beantwortung der Fragen offenkundig nicht für das Verfahren erforderlich wäre.

Zwischen (1) und (2) besteht ein logischer Widerspruch. In (1) wird dem EuGH die Prüfung der Erforderlichkeit abgesprochen. In (2) wird eine Erforderlichkeitsprüfung für den EuGH bejaht. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen?

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Versuchsbeginn und die Teilverwirklichungslehre

Heute ein Beispiel dafür, worauf man bei der Prüfung des Versuchsbeginns in einer Strafrechtsklausur achten sollte. Manuel Ladiges schreibt dazu in der JuS 2014, 1095 (1097):

H muss iSv § 22 unmittelbar zum Betrug angesetzt haben. Dies könnte vor dem Hintergrund, dass sie erst am Folgetag den Kaufpreis von A erhalten sollte, zweifelhaft sein. Allerdings setzt der Täter stets unmittelbar an, wenn er bereits einen Teilakt des objektiven Tatbestands verwirklicht hat. Dies ist der Fall, denn H hat bereits die Täuschungshandlung gegenüber A vorgenommen.

Für diese These zum Versuchsbeginn bezieht sich Ladiges u.a. auf Rengier, Strafrecht AT, 2013, § 34 Rn. 29. Dort heißt es aber nicht so, wie Ladiges formuliert, sondern:

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Haftung = Haftung?

In der JA 2014, 819ff stellen Bertl und Lotte eine Hausarbeit mit dem Titel „Urlaub mit Hindernissen“ vor.

Im Sachverhalt, S. 820, heißt es:

Im Zeitpunkt der Buchung war V noch nicht als GmbH im Handelsregister eingetragen, jedoch war der Gesellschaftsvertrag bereits wirksam abgeschlossen. Inzwischen weist das Handelsregister aber V als GmbH aus.

Um den Fall weiter verfolgen zu können, sollten die verschiedenen Gründungsphasen auf dem Weg zur GmbH unterschieden werden. Dazu lesen wir bei Körber/Kliebisch in der JuS 2008, 1041 (1042):

[…]

(1) Vorgründungsgesellschaft bis zur notariellen Beurkundung,

(2) Vor-GmbH zwischen Beurkundung und Eintragung,

(3) „fertige” GmbH ab Eintragung […]

Auf Seite 820f prüfen Bertl/Lotte dann Ansprüche gegen V. Da heißt es:

Fraglich ist aber, ob V wirksam Vertragspartner geworden ist. […] V wandelt sich im Zeitpunkt des Abschluss des Gesellschaftsvertrags von einer Vorgründungsgesellschaft in eine Vor-GmbH, die als Vereinigung sui generis einzuordnen ist. Diese kann bereits Träger von Rechten und Pflichten sein. […] Nach heutiger Rspr. ist jedoch von der Identität zwischen GmbH und Vor-GmbH auszugehen. Die GmbH übernimmt daher alle Rechte und Pflichten der Vor-GmbH.

Wir halten also fest: Nach der zwischenzeitlich erfolgten Eintragung in das Handelsregister ist die GmbH entstanden und übernimmt alle Rechte und Pflichten der Vor-GmbH. Die Autoren prüfen also Ansprüche gegen die jetzt bestehende GmbH.

Auf Seite 825 wird der Frage nachgegangen, ob auch G, ein Gesellschafter der GmbH, in Anspruch genommen werden kann. Im Einleitungssatz steht:

Als Gesellschafter der V könnte G für diesen [richtig wohl: diese, M.H.] zu haften haben. Grundsätzlich haften Gesellschafter gemäß § 13 II GmbHG nicht mit ihrem Privatvermögen. Als Haftungsmasse steht den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Eine Ausnahme könnte jedoch für Verbindlichkeiten der Vor-GmbH gelten.

Die Autoren beschreiben also das Trennungsprinzip und gehen im Anschluss daran denkbare Ausnahmen durch (S. 825f):

I. Handelndenhaftung, § 11 II GmbHG

[…]

II. Persönliche Haftung der Gesellschafter

[…]

1. Keine persönliche Haftung

[…]

2. Unbeschränkte persönliche Außenhaftung

[…]

3. Anlehnung an Kommanditistenhaftung

[…]

4. Differenzhaftung

Dann wird die Differenzhaftung näher erläutert (S. 826):

Um Unbilligkeiten zu vermeiden, sei ein Haftungsgleichlauf vor und nach der Eintragung der GmbH unabdingbar. Diese spaltet sich in eine Verlustdeckungshaftung vor Eintragung der GmbH und eine Differenzhaftung nach Eintragung der GmbH auf. Mit der Eintragung erlischt also die Verlustdeckungshaftung und die Differenz- bzw. Vorbelastungshaftung entsteht.

Stachel-BlumeWir halten fest:

– Vor Eintragung der GmbH: Verlustdeckungshaftung

– Nach Eintragung der GmbH: Differenzhaftung/Vorbelastungshaftung

(Die Begriffe „Verlustdeckungshaftung“ und „Vorbelastungshaftung“ kann man schnell verwechseln. Ich merke mir das so: Die Begriffe sind in ihrer alphabetischen Reihenfolge vor/nach Eintragung der GmbH heranzuziehen.)

Jetzt wird die Differenzhaftung weiter charakterisiert:

Diese Haftung [Differenzhaftung, M.H.] ist jedoch als reine Innenhaftung ausgestaltet, sodass sich die Gläubiger ausschließlich an die GmbH wenden können. […] Der BGH lässt nur dann ausnahmsweise eine Durchgriffshaftung zu, falls die GmbH vermögenslos ist, eine Ein-Mann-GmbH vorliegt oder nur ein Gläubiger existiert.

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Kündigung eines Arbeitsvertrages durch Arbeitgeber oder Arbeitnehmer

ApfelHeute habe ich ein Video von „BodyLaw – Jura für jedermann“ zu dem Thema „Kündigung Arbeitsvertrag – Arbeitnehmer / Arbeitgeber – Fristen – Beendigung Arbeitsverhältnis“ betrachtet. Ein sympathischer freier Vortrag, angenehm zuzuhören. Und es ist ja auch richtig schwierig, juristische Themen „so einfach wie möglich“ (Kanalinfo) darzustellen. Aber, wie Einstein gesagt haben soll, „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.“ Darum im Folgenden ein paar ergänzende Hinweise zu dem Video.

Eine außerordentliche Kündigung ist eine fristlose, das heißt wirklich ohne Frist von heut auf morgen greift die Kündigung und man muss nicht mehr zur Arbeit gehen, […]. (Video)

Es mag sein, dass eine außerordentliche Kündigung in der Regel fristlos erfolgt. Jedoch kann eine außerordentliche Kündigung auch mit Auslauffrist ausgesprochen werden, ohne dass daraus dann eine ordentliche Kündigung würde. So lesen wir bei Linck in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2012, § 622 Rn. 27:

Eine solche außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist liegt nur vor, wenn der Kündigende hinreichend deutlich macht, dass trotz der Einräumung einer Frist eine außerordentliche Kündigung erklärt sein soll.

Weiter geht es mit dem Thema der Kündigungsfrist bei einer ordentlichen Kündigung.

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Von den Tücken des „nur“ – oder: Die Ausnahmetrias

BergeIn der RÜ 2015 finden wir auf den Seiten 265ff einen Aufsatz von Horst Wüstenbecker zu dem Thema „Rechtsschutz im Verfassungsrecht – Die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht“. Auf Seite 269 beschäftigt sich der Autor mit der Individualverfassungsbeschwerde. Dazu lesen wir:

Beteiligtenfähig ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann, d.h. jeder, der Grundrechtsträger sein kann.

[Terminologisch spreche ich im folgenden in Anlehnung an Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2011, Rn. 104 von Beschwerdefähigkeit.]

Nach Art. 93 I Nr. 4a GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht

über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;

Damit im Zusammenhang steht § 90 I BVerfGG:

Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

Also sollten wir besser so wie Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2011, Rn. 104 formulieren:

„Beschwerdefähig ist, wer Träger des konkreten Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts ist, dessen Verletzung er rügt […].“

Die Formulierung von Wüstenbecker ist also verkürzt, indem die Träger von grundrechtsgleichen Rechten nicht berücksichtigt werden. Diese sind aber in Art. 93 I Nr. 4a GG und § 90 I BVerfGG ebenfalls genannt und dürfen nicht unter den Tisch fallen.

Weiter schreibt Wüstenbecker zur Beteiligtenfähigkeit:

Neben natürlichen Personen sind dies nach Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Nicht beteiligtenfähig sind dagegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, die als Grundrechtsverpflichtete nicht zugleich Grundrechtsträger sein können.

Neben dieser Regel beschreibt Wüstenbecker dann Ausnahmen:

Juristischen Personen des öffentlichen Rechts hat das BVerfG nur die Berufung auf die prozessualen Grundrechte nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (gesetzlicher Richter) und Art. 103 Abs. 2 GG (rechtliches Gehör) zugestanden, ein Teil der Lit. bejaht dies auch für den Justizgewährleistungsanspruch nach Art. 19 Abs. 4 GG.

Wer das so in Prüfungssituationen behauptet, wird sicher nicht mit der vollen Punktzahl belohnt.

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