Schauen wir uns heute mal einen Aspekt an, der in zahlreichen Examensklausuren eine Rolle spielen kann. Zunächst zum für die Fragestellung relevanten Sachverhalt:
Der zuständige Einzelrichter der 3. Zivilkammer des LG Frankfurt (Oder) ordnete das schriftliche Vorverfahren gem. § 276 ZPO an und gab der Bekl. auf, innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen schriftlich anzuzeigen, ob sie sich gegen die Klage verteidigen will; für diesen Fall wurde sie aufgefordert, innerhalb von weiteren vier Wochen ihre schriftliche Klageerwiderung vorzulegen. Die Zustellung der Klage an die Bekl. erfolgte am 10. 1. 2011 durch persönliche Übergabe. Am 16. 1. 2011 zeigte sie, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Meyer, ihre Verteidigungsbereitschaft an und beantragte, die Klage abzuweisen. Auf ihren Antrag hin verlängerte der Einzelrichter die Frist zur Klageerwiderung bis zum 7. 3. 2011.
(Körner, JuS 2013, 730, 731 f.)
Im Tenor heißt es dann:
1. Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 458 Euro nebst Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. 1. 2011 zu zahlen.
2. Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 10 000 Euro nebst Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. 1. 2011 zu zahlen.
(Körner, JuS 2013, 730, 734)
Hat das so seine Ordnung?
Es gibt ein Detail, für das sich die Nachahmung nicht empfiehlt. Es geht um die Frage, ab wann ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht. Hier erfolgte die Zustellung der Klage an die Beklagte am 10.01.2011. Besteht dann – wie es in dem vorgeschlagenen Tenor angenommen wird – ab diesem Tag ein Anspruch auf Prozesszinsen?
Die einschlägige Anspruchsgrundlage lautet:
§ 291 BGB: Prozesszinsen
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
Eine Geldschuld hat der Schuldner also „von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen“. Doch was ist mit Rechtshängigkeit gemeint?
§ 261 I ZPO: Rechtshängigkeit
Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet.
Und wie wird eine Klage erhoben?
§ 253 I ZPO: Klageschrift
Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).
Bis hierhin könnte man annehmen, dass die Prozesszinsen ab Zustellung der Klageschrift zu entrichten sind. Man darf aber die Vorschriften zur Fristberechnung nicht außer Betracht lassen.
§ 187 I BGB: Fristbeginn
Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt.
Und siehe da: Prozesszinsen gibt es erst ab einem Tag nach der Zustellung.
Das sieht auch der BGH so:
Ebenso sind dem Kl. unzutreffend aus § 291 BGB bereits ab dem Tag der Zustellung der Klageschrift am 16.1.2015 Prozesszinsen zugesprochen worden. Die Pflicht zur Zinszahlung besteht in entsprechender Anwendung von § 187 I BGB erst ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag […].
(BGH, Urt. v. 04.07.2017, XI ZR 562/15, NJW 2017, 2986, 2994)
Und wenn man nun einwendet, dass es sich um eine recht neue Entscheidung handelt und der BGH dies möglicherweise früher anders gesehen haben mag, so lässt sich dieser Einwand mit folgender Entscheidung entkräften:
Zinsen auf die Hauptsumme stehen den Kl. erst ab dem auf die Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (§ 187 I BGB entsprechend), also dem 21. 6. 1988 als Prozeßzinsen (§ 291 BGB) zu.
(BGH, Urt. v. 24.01.1990, VIII ZR 296/88, NJW-RR 1990, 518, 519)
Wir merken uns also: Prozesszinsen nach § 291 BGB gibt es erst ab einem Tag nach der Klagezustellung. So müssen wir dann im Beispielsfall auch tenorieren:
1. Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 458 Euro nebst Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. 1. 2011 zu zahlen.
2. Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 10 000 Euro nebst Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. 1. 2011 zu zahlen.
Dann müssten Sie aber auch noch tenorieren, dass die Klage im Übrigen (= wegen des einen Zinstags) abgewiesen wird (und bei der Kostenentscheidung dann auf § 92 II Nr. 1 ZPO hinweisen). Oder Sie müssten den Klageantrag entgegen seinem Wortlaut dahin auslegen, dass der Kl. die Prozesszinsen erst vom Tag nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit an begehrt.
(Und weil das so ist, lassen die Praktiker üblicherweise den BGH einen guten Mann sein und tenorieren die Zinsen ab dem Tag der Klagezustellung …).
Danke für die Präzisierung! So „rächt“ es sich eben, wenn man beim Streben nach Genauigkeit den letzten Zentimeter verfehlt :-).
Die Abweisung im Übrigen wird deshalb oft nicht vorgenommen, weil der Klageantrag dahingehend ausgelegt wird, dass der Kläger Prozesszinsen ab dem Tag nach der Rechtshängigkeit verlangt. Damit ist der Kostentenor mit der Rspr. des BGH vereinbar.
Wir haben das in der AG damals mit PZU plus eins gelernt.
Danke für den Hinweis auf diesen Merkspruch. „PZU plus eins“ prägt sich wirklich gut ein.
Wieso wird 187 I BGB aber bei der Berechnung des Zeitraums der Prozesszinsen nur analog und nicht direkt angewendet? Handelt es sich um keine „Frist“, weil der Endzeitpunkt nicht feststeht?
Und: Bei den Verzugszinsen muss man auch 187 I BGB analog anwenden; geschuldet sind die Verzugszinsen also ab dem Tag, der dem verzugsbegründenden Ereignis nachfolgt („Mahnung + 1“).
Danke für diese interessante Frage. Genau, die Norm wird analog angewendet, weil sich § 187 BGB in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich auf Fristen bezieht. Der Verzinsungszeitraum ist aber keine Frist (vgl. zu dieser Argumentation z.B. LG Hamburg, Beschl. v. 29.11.2019, 628 Qs 37/19, Rn. 19).