Neun Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung?

Im LTO-Newsletter vom 04.04.2023 war zu lesen:

Im November 2021 angekettet im Gleisbett, um gegen ein RWE-Braunkohlekraftwerk zu protestieren, nun angekettet an eine Freundin im Gerichtssaal – aus Protest. Das AG Grevenbroich kam zu dem Schluss, die angeklagte 24-jährige Person habe keine Einsicht gezeigt und verurteilte sie am Montag zu neun Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Nutzen wir dieses Beispiel für eine „Plausibilitätslektüre“. Woran lässt sich festmachen, dass die Aussage zum Strafmaß so vermutlich nicht korrekt ist?

Es ist in Bezug auf eine Freiheitsstrafe von neun Jahren die Rede davon, dass sich das Gericht gegen eine Bewährungsstrafe entschieden habe. Aber würde sich diese Frage bei einer Freiheitsstrafe von neun Jahren überhaupt stellen? Die Strafaussetzung zur Bewährung ist in § 56 StGB geregelt. § 56 Abs. 1 StGB ermöglicht die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung bei einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr. § 56 Abs. 2 StGB ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen auch die Aussetzung der Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe zur Bewährung, wenn diese zwei Jahre nicht übersteigt. Bei einer Freiheitsstrafe von neun Jahren würde also niemand darüber nachdenken, ob eine Aussetzung zur Bewährung in Betracht kommt. Und siehe da: In der Online-Berichterstattung der LTO ist dann auch nicht mehr von neun Jahren (!) Freiheitsstrafe die Rede, sondern lediglich von neun Monaten (!). Und da stellt sich – wie wir mit Blick auf § 56 StGB gesehen haben – in der Tat die Frage, ob die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll.

P.S. Von diesem „Ausrutscher“ abgesehen, empfiehlt es sich aber generell, studienbegleitend den LTO-Newsletter regelmäßig zu lesen. So ist man immer über die aktuelle Rechtsentwicklung informiert.

3 comments

  1. Thomas Hochstein sagt:

    9 Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung wären ja immerhin möglich, auch wenn der Verweis auf die unterbliebene Strafaussetzung sinnlos wäre (aber man sollte von Presseberichterstattung nicht zuviel erwarten).

    Die Unrichtigkeit ergibt sich daher augenscheinlicher daraus, dass die Strafe durch ein Amtsgericht verhängt worden sein soll (und es sich auch nicht um eine Verwechslung handeln kann, weil es in Grevenbroich kein Landgericht gibt). Das ist jedoch ausgeschlossen; die Strafgewalt des Amtsgerichts endet bei vier Jahren Freiheitsstrafe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert