„Enkeltrick & Co“ – Kennt die Strafprozessordnung „keinerlei Kautionszahlungen“?

Im „Wochenspiegel“ meiner Heimatstadt war vor einigen Wochen zu lesen:

Tochter angeblich Unfallverursacherin: ‚Enkeltrick & Co‘: Schwerkranke Regina P. Opfer eines Schockanrufes / Täter erbeuten Schmuck im Wert von 20 000 Euro

Es ist erfreulich, dass in der Presse sehr intensiv über „Enkeltricks“ informiert wird. Am Ende des Beitrags hieß es dann aber:

Gut zu wissen: Die Strafprozessordnung sieht keinerlei Kautionszahlungen vor. Polizei oder Justiz nehmen niemals Geld oder Wertgegenstände entgegen.

Das führt nun zu der Frage, ob diese Aussage tatsächlich zutreffend ist.

Und siehe da: Die Strafprozessordnung sieht doch Kautionszahlungen vor. Insofern brauchen wir nur einen Blick in § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 StPO zu werfen. Dort heißt es:

§ 116 StPO: Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich […]

4. die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen. […]

In § 116a StPO wird dann noch näher ausgeführt, wie die Aussetzung gegen Sicherheitsleistung auszusehen hat. Nun bleibt nur noch der Einwand, dass die StPO nicht ausdrücklich von der Zahlung einer „Kaution“ spricht. Aber genau dies ist mit §§ 116, 116a StPO gemeint, wie der Kommentarliteratur entnommen werden kann:

Die Leistung einer angemessenen Sicherheit (Kaution) durch den Beschuldigten oder einen Dritten ist in § 116 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 (vgl. Art. 5 Abs. 3 S. 3 EMRK) für die Fälle des Fluchtverdachts als weitere Möglichkeit vorgesehen, um Haftverschonung zu erlangen.

(KK-StPO/Graf, 9. Aufl. 2023, StPO § 116 Rn. 18)

Als Fazit bleibt festzuhalten: Die Warnung vor „Enkeltrick & Co“ ist wichtig. Allerdings sollte in diesem Zusammenhang nicht behauptet werden, dass die deutsche Strafprozessordnung keine Kautionszahlungen kenne.

3 comments

  1. Anton sagt:

    Ebenso ist die allgemeinere Aussage, dass die Polizei niemals Geld entgegennehmen würde, unzutreffend. Beim Vollzug von Haftbefehlen wegen Ersatzfreiheitsstrafen kommt es regelmäßig vor, dass die Festnahme durch Geldzahlung noch abgewendet wird.

  2. Thomas Hochstein sagt:

    Die Kenntnisse der Presse – nicht nur – über Abläufe im Ermittlungs- und Strafverfahren sind bedauerlicherweise rudimentär und die Berichterstattung ist leider regelmäßig allenfalls zufällig richtig.

    Man kann dem „Wochenspiegel“ nur partiell zugute halten, dass die Warnung im Ergebnis für den von Ihnen genannten Fall der Kautionsstellung wohl richtig ist. Die Außervollzugsetzung von Haftbefehlen gegen Stellung einer Kaution ist zum einen selten; zum anderen werden Schmuck- und Wertgegenstände (schon aufgrund der Wertfeststellung und gesicherten Aufbewahrung) wohl nie entgegengenommen und die Barkaution ist regelmäßig auf Veranlassung des Beschuldigten (durch seine Angehörigen oder den Verteidiger) bei der Hinterlegungsstelle zu hinterlegen. Daher dürfte es wohl richtig sein, dass die Polizei nie und die Justiz nie direkt Geld (oder gar Wertgegenstände) entgegennimmt (oder gar verlangt).

    Dass es keine Kautionsleistungen gäbe, ist hingegen natürlich Quatsch, insbesondere, wenn man noch die Sicherheitsleistungen aus §§ 127a, 132 StPO hinzunimmt, die zahlenmäßig eine größere Bedeutung haben dürften als die Kaution nach §§ 116, 116a StPO. Diese Fälle betreffen auch den alltagsrelevanten Fall der mittleren Kriminalität Und vor allem dort nimmt regelmäßig tatsächlich die Polizei die Sicherheitsleistung entgegen; allerdings setzen diese Konstellationen einen fehlenden festen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Bundesrepublik voraus, betreffen also vorwiegend ausländische Staatsangehörige.

    Die Realität ist mithin am Ende zu komplex, um sie als kurzen Nachsatz in einen Presseartikel aufzunehmen, geschweige denn, dass man erwarten könnte, dass ein Journalist sie korrekt recherhiert …

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