Als 600. Beitrag wieder (scheinbar) leichte Kost: Legal Tech, Rehe und Autos

Nicht nur Bücher haben ihre Geschichte. Für Zitate gilt das Gleiche. Da das Internet voll von Zitaten ist, hat die Zitatenkonjunktur sogar zugenommen. Mit der Genauigkeit der Zitate steht es aber nicht immer zum Besten, wie man am Beispiel des Benjamin Franklin-Zitats zum Thema „Freiheit und Sicherheit“ sehen kann. Es lohnt sich also fast durchweg, ein wenig genauer hinzuschauen. Das soll nun am Beispiel eines Luhmann-Zitats geschehen, das man auf der Seite des Legal Tech Center der Universität Wien unter der Überschrift „What the tech is going on?“ in folgender Fassung lesen kann:

„Recht und Datenverarbeitung haben miteinander genauso viel zu tun wie Autos und Rehe: Meist gar nichts, nur manchmal stoßen sie zusammen.“

Niklas Luhmann, 1970 (zitiert nach M. Grupp, AnwBl. 2014, 660)

Folgen wir der durch „AnwBl. 2014, 660“ gelegten Nachweis-Spur, so treffen wir dort auf das wortgleiche Zitat, werden aber sogleich in Fn. 1 eine Station weiter verwiesen („Zitiert im Vortrag von Fiedler, IRIS, nach Konzelmann, JurPC 110/2003, Abs. 36“). Bei der zitierten Quelle handelt es sich um einen Tagungsbericht zum Internationalen Rechtsinformatik Symposion Salzburg (IRIS) 2003. Dort wird Folgendes berichtet:

„Prof. Herbert Fiedler sprach über Rechtsinformatik als Integrationsdisziplin in einem Plenarvortrag. Als Kontrapunkt zu seiner Zentralaussage stellte er eine Äußerung von Niklas Luhmann von Anfang der 70er Jahre dar, die er dem Museum der Gegenbeispiele zuordnete: „Recht und Datenverarbeitung haben miteinander genauso viel zu tun wie Autos und Rehe: Meist gar nichts, nur manchmal stoßen sie zusammen.“

Alexander Konzelmann, Wolfgang Neuhorst, JurPC Web-Dok. 110/2003, Abs. 1 – 53, 36.

Nun wissen wir also, dass „unser“ Zitat 2003 bei der IRIS in Salzburg zitiert wurde. Es wäre allerdings schön zu wissen, ob sich die zitierte Äußerung von Luhmann irgendwo im Original nachweisen lässt, am besten natürlich in Schriftform. Diesbezüglich kann man in der Tat fündig werden. Aus der Feder von Luhmann lesen wir:

„Es fällt auf, daß sich verfassungsmäßige Schwierigkeiten sowohl im Grundrechtsbereich als auch im Organisationsbereich relativ zufällig und ganz punktuell ergeben, so als ob Verfassung und Automation eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben – wie Rehe und Autos –, aber gelegentlich doch kollidieren.“

Niklas Luhmann, Verfassungsmäßige Auswirkungen der elektronischen Datenverarbeitung, Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung, 1972, S. 44-47, 44 f.

Und siehe da: Schon der Wortlaut des tradierten Zitats differiert von dem Luhmann’schen Originalwortlaut: „Recht“ und „Datenverarbeitung“ einerseits, „Verfassung“ und „Automation“ andererseits. Und dann beachte man – auslegungsmäßig weitergehend – das „als ob“: Luhmann sagt damit gerade, dass Verfassung und Automation etwas miteinander zu tun haben und kritisiert eine Praxis, die das ignoriert und so verfährt, „als ob“ das nicht der Fall sei. Vielleicht sollte man also in Wien noch einmal über die Verwendung des Luhmann-„Zitats“ und die daran geknüpften Erwägungen („Luhmanns These spektakulär widerlegt“) nachdenken.

 



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