Archiv für Strafrecht

Der Druckfehlerteufel ist ein Zeitdieb

Hans Kudlich schreibt in der JA 2016, S. 793:

Mit dem am 4.12.2015 durch Einwurf in den Briefkasten zugestellten Beschluss vom 2.12.2015 hatte das AG eine dem V gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten widerrufen. Mit einem erst am 14.12.2016 beim AG eingegangenen Schriftsatz legte V gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil ihm der Beschluss erst „kurze Zeit“ vorliege.

Im Sinne der Übersichtlichkeit wird immer empfohlen, sich die Daten eines Falles in einer Art Zeitstrahl darzustellen, also:

affe

02.12.2015: Beschluss über Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung

04.12.2015: Zustellung des Beschlusses durch Einwurf in den Briefkasten

14.12.2016: Sofortige Beschwerde gegen den Beschluss

Hier könnte man schon stutzig werden.

Weiterlesen

Vom Weiterleben eines Gesetzes, das es nicht mehr gibt

Ostendorf schreibt in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 2013, § 132a StGB Rn. 6:

Hinsichtlich der Strafbedürftigkeit gilt es zu sehen, dass die Ausübung eines – inländischen – Amtes bzw bestimmter Berufe selbstständig sanktionsbeschwert untersagt ist: Die Amtsanmaßung durch § 132 [StGB, M.H.], die unbefugte Ausübung des Arztberufes durch § 13 BÄrzteO, […] des Rechtsanwaltsberufes durch § 8 RBerG […].

[…]

Soweit, wie mit § 8 RBerG und § 160 StBerG, die unbefugte Ausübung des Berufes nur als Ordnungswidrigkeit belangt wird, ist es zudem widersprüchlich, das bloße Führen der Berufsbezeichnung mit Kriminalstrafe zu bedrohen.

Und dann in Rn. 20:

Bei Ordnungswidrigkeiten (§§ 8 RBerG, 160 StBerG; §§ 124-126 OWiG) ist § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG zu beachten.

Bei Tröger, JuS 2010, 713, 714 lesen wir:

Zwar ist die aufschiebende Bedingung, § 158 I, mit dem Angebot der Forderung gegen die OHG durch die T-GmbH eingetreten und auch eine Nichtigkeit nach § 134 BGB i.V. mit Art. 1 § 1 I Nr. 5 RBerG scheidet aus, weil die Forderungseinziehung mit dem eigentlichen Refinanzierungsgeschäft der Factoring-Banken in unmittelbarem Zusammenhang steht und daher durch das RBerG nicht betroffen ist, Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG.

Welches der zitierten Gesetze gab es schon beim Schreiben dieser Zeilen nicht mehr?

Weiterlesen

„Andere Straftat“ iSd § 306b II Nr. 2 StGB?

Heute soll es um die Frage gehen, welche Anforderungen an eine „andere Straftat“ iSd § 306b II Nr. 2 StGB zu stellen sind. Dazu schauen wir uns die Fallbearbeitung von Jonas Hennig in der RÜ 2014, 576ff (578) an:

A könnte sich auch wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben. Dies setzt voraus, dass es ihm beim Inbrandsetzen um die Ermöglichung einer anderen Straftat ging.

FeuerZunächst lehnt der Autor ohne weitere Begründung einen Versicherungsmissbrauch, § 265 StGB, als „andere Straftat“ ab. Eine Begründung finden wir beim BGH, Beschluss vom 15.03.2007, 3 StR 454/06:

Dieses Delikt stellt indes schon bei wortsinngerechter Auslegung des § 306b II Nr. 2 Alt. 1 StGB keine von der schweren Brandstiftung (§ 306a I Nr. 1 StGB) abgrenzbare „andere Straftat” dar, die der Angekl. durch die Brandlegung zu ermöglichen trachtete. Der Angekl. hat durch die Brandlegung keine andere Straftat ermöglicht, sondern durch eine Handlung gleichzeitig zwei Straftaten begangen. Durch das Inbrandsetzen des versicherten Gebäudes hat er sowohl den objektiven Tatbestand des § 306a I Nr. 1 StGB als auch denjenigen des § 265 I StGB verwirklicht. Tathandlung und Tatobjekt der schweren Brandstiftung und des Versicherungsmissbrauchs zu Lasten der Gebäudeversicherung […] stimmen deckungsgleich überein; mit der durch die Brandlegung bewirkten Zerstörung des Gebäudes war auch der Versicherungsmissbrauch vollendet. Allein der Umstand, dass der Angekl. auf Grund seiner Tatmotivation durch seine einheitliche Tathandlung nicht nur das Schutzgut des § 306a I Nr. 1 StGB, sondern auch dasjenige des § 265 I StGB angriff, reicht zur Verwirklichung des § 306b II Nr. 2 Alt. 1 StGB nicht aus.

Damit kann man nun begründen, dass ein Versicherungsmissbrauch keine „andere Straftat“ iSd § 306b II Nr. 2 StGB ist.

Im Anschluss daran wendet sich Hennig der Prüfung von § 263 StGB als mögliche „andere Straftat“ zu. Dabei stellt er zunächst eine restriktive Literatur-Ansicht dar:

Nach einer restriktiven Auslegung kommt mit Blick auf den hohen Strafrahmen als „andere Straftat“ nur eine solche infrage, die nach der Tätervorstellung durch die infolge des Brandes geschaffene besondere Tatsituation […] begünstigt werden soll, was bei einem Versicherungsbetrug gerade nicht der Fall sei […].

(RÜ 2014, 576, 578)

Dann folgt die Ansicht der Rechtsprechung:

Vorzugswürdig ist es, mit der Rspr. […] eine solche vom Wortlaut nicht gedeckte Auslegung abzulehnen.

Und schließlich wird begründet, warum die restriktive Ansicht der Literatur nicht überzeugt:

In systematischer Hinsicht lässt sich dafür anführen, dass auch bei § 211 StGB im Rahmen der <_____________> jede andere Straftat ausreicht. Dann kann im Rahmen des § 306b StGB, bei dem die Strafe sogar noch geringer ausfällt, nichts anderes gelten.

Wie ist die im Zitat offen gelassene Lücke auszufüllen? Verdeckungsabsicht oder Ermöglichungsabsicht?

Weiterlesen

Der Rücktritt vom Versuch

GänseblumeIn den Strafrechts-Vorlesungen lernt man, dass kein Versuch in einer Klausur geprüft werden soll, ohne an einen potentiellen Rücktritt zu denken. Wenn man dann gedanklich zu dem Ergebnis kommt, dass im Bereich des Rücktritts vom Versuch ein Problem angesiedelt ist, stellt sich die Frage, wie man den Rücktritt in die Fallprüfung integriert. Dabei spielt insbesondere die Frage eine Rolle, wo man sich zu der Problematik des Fehlschlags äußert.

Dazu schreibt Hoven in der JuS 2013, 305 (306):

Ein Rücktritt scheidet notwendig aus, wenn der Versuch des Täters fehlgeschlagen ist. Während ein Teil der Literatur den Fehlschlag als Form einer mangelnden Freiwilligkeit des Rücktritts erfassen will, führt er nach überwiegender Ansicht bereits zum Ausschluss des normativen Anwendungsbereichs von § 24. Da es sich somit um einen per se nicht rücktrittsfähigen Versuch handelt, muss die Frage eines Fehlschlags der Rücktrittsprüfung vorangestellt werden.

Nach Hoven gibt es also zwei Prüfungsstandorte für den Fehlschlag des Versuchs:

(1) Ausschluss des normativen Anwendungsbereichs von § 24 StGB

(2) Mangelnde Freiwilligkeit

Besonders verbreitet ist die Variante (1), wie auch Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2012, § 16 Rn. 10 beschreibt:

Bevor die rücktrittsfähigen Versuche (unbeendeter und beendeter Versuch) im Hinblick auf die unterschiedlichen Rücktrittsvoraussetzungen voneinander abgegrenzt werden können, muss die „logisch vorrangige Frage“ beantwortet werden, „ob ein Rücktritt prinzipiell überhaupt … möglich ist.“ Diese Frage ist auch in einer strafrechtlichen Fallbearbeitung „nach vorne zu ziehen“, weil die Prüfung, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, es ermöglicht, nicht rücktrittsfähige Versuche auszuscheiden, bevor man den unbeendeten vom beendeten Versuch abgrenzen und das oft heikle Freiwilligkeitserfordernis prüfen muss. Freilich gilt dieser Aufbauvorteil nur für die klaren Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs […].

Und dann in Rn 22:

Die Notwendigkeit, in der Rücktrittsprüfung zunächst einen fehlgeschlagenen Versuch wegen erkannter Fortsetzungsmöglichkeit abzulehnen, ergibt sich in zahlreichen Übungsfällen.

Auch Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2014, § 37 Rn. 15 präferiert diese Vorgehensweise:

Nach der Rechtsprechung und h. M. schließt ein fehlgeschlagener Versuch von vornherein einen Rücktritt aus; dies lässt sich unschwer vor allem aus der Verdienstlichkeits- bzw. Gnadentheorie ableiten (Rn. 7). Deshalb gehört die Prüfung eines solchen Versuchs an den Anfang.

Es gibt daneben aber noch einen weiteren Prüfungsstandort, an dem man die Frage ansiedeln kann.

Weiterlesen

Alles Banane für Porsche: Zur Lektüre von Tageszeitungen vor der mündlichen Prüfung

denkerExamenskandidaten wird ja immer wieder empfohlen, zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung zeitnah eine gute Tageszeitung zu lesen. Das ist generell ein guter Rat, bestätigt doch die Erfahrung, dass oft Themen der mündlichen Prüfung durch die morgendliche Zeitungslektüre der Prüfer geprägt sind. Dass trotzdem Vorsicht geboten ist, zeigt das folgende Beispiel, das sich mit dem Freispruch ehemaliger Porsche-Vorstände durch das Landgericht Stuttgart befasst. In der Urteilsbegründung hatte sich der Vorsitzende Richter Frank Maurer außergewöhnlich kritisch mit der Arbeit der Staatsanwaltschaft befasst und Sätze wie den folgenden gesprochen:

An den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, so Maurer, sei „nichts dran, weder vorne noch hinten noch in der Mitte“.

(„Doktor Wiedeking, Doktor Härter, Ihnen alles Gute“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.03.2016, Nr. 67, S. 26)

An dieser Art des Umgangs mit der Staatsanwaltschaft übte ein Generalstaatsanwalt a.D. in einem Leserbrief an die FAZ Kritik und führte u.a. folgendes Argument ins Feld:

Im Übrigen: Wenn der Fall von vornherein so klar war, wie es der Vorsitzende jetzt darstellt, warum hat das Gericht mit seinem Vorsitzenden dann das Hauptverfahren überhaupt eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft zugelassen? Zumindest einen hinreichenden Tatverdacht (Paragraph 203 Strafprozessordnung) muss das Gericht angenommen haben, sonst hätte es die Anklage nicht zulassen dürfen.

(Dr. Hans Christoph Schaefer, Generalstaatsanwalt a.D., Schriesheim, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.03.2016, Nr. 70, S. 6)

In der Tat, möchte man sagen, ein starkes Argument. Aber in concreto auch zutreffend?

Weiterlesen