Die hohe Kunst der „Plausibilitätslektüre“

Man begegnet im Studium juristischen Texten, die sich richtig gut lesen. Hier ist ein solcher:

Der Designschutz hat zur Folge, dass der Entwerfer das ausschließliche Recht der Benutzung, also der Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung des Musters oder Modells im Sinne des § 38 DesignG hat („positives Verbreitungsrecht“). Damit ist das Recht verbunden, jede nicht genehmigte Nachbildung und den Vertrieb eines Musters oder Modells zu untersagen, die mit Verbreitungsabsicht hergestellt werden („negatives Verbreitungsrecht“). Dem Hersteller einer identisch nachgebildeten Form wird in der Regel der Einwand, diese sei unbewusst und ohne Kenntnis des geschützten Musters oder Modells nachgebildet worden, nichts nützen, es sei denn, das geschützte Muster oder Modell war bis zur Anmeldung der Nachbildung noch nicht bekannt oder verbreitet worden. Zulässig sind dagegen Nachbildungen geschützter Muster und Modelle zum persönlichen Gebrauch. Ferner ist es zulässig, Flächenmuster durch plastische Muster oder umgekehrt nachzubilden.

(Fischer/Reich, Der Künstler und sein Recht, 2014, S. 126 [§ 5 Rn. 8])

Die Schwierigkeit besteht nun darin, in solchen Texten Elemente zu entdecken, mit denen möglicherweise etwas nicht in Ordnung ist. So verhält es sich bei dem zitierten Text.

Die Formulierung, an der man hängen bleiben muss, ist „negatives Verbreitungsrecht“. Dieses „negative Verbreitungsrecht“ wird dem „positiven Verbreitungsrecht“ gegenübergestellt. Doch was kann man sich unter diesen Begriffen vorstellen?

Beginnen wir mit dem „positiven Verbreitungsrecht“. Dieses soll in § 38 I 1 DesignG geregelt sein:

Das eingetragene Design gewährt seinem Rechtsinhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen.

Schon dieser Terminus ist ziemlich singulär. Üblich ist die Bezeichnung „positives Benutzungsrecht“.

Weiter geht es mit dem „negativen Verbreitungsrecht“. Das ist noch rätselhafter. Ein Recht zum Verbreiten kann ja nicht negativ sein. Nach einigem Grübeln stellt sich dann die Hypothese ein, dass vom „negativen Verbietungsrecht“ die Rede sein sollte. Da würde man sich zwar immer noch fragen, warum man das Adjektiv „negativ“ benötigt. Möglicherweise würde „Verbietungsrecht“ allein genügen. Da aber relativ häufig vom „negativen Verbietungsrecht“ gesprochen wird, kann man sich auch diese Begrifflichkeit merken.

Machen wir zum Schluss noch den Google-Test und suchen mit „positives Verbreitungsrecht“. Da gibt es nur einen Treffer (und das ist genau „unser“ Buch):

verbreitungsrecht1

 

Weiter geht es mit „negatives Verbreitungsrecht“. Da gibt es ebenfalls nur einen Treffer (und das ist wiederum genau „unser“ Buch):

verbreitungsrecht

Nun kann man sich beruhigt zurücklehnen. Bei „positivem Verbreitungsrecht“ und „negativem Verbreitungsrecht“ handelt es sich um zwei charmante Fehler.

P.S. Da allerdings Google-Suchen nicht für alle Benutzer zu identischen Ergebnissen führen, bin ich für Hinweise auf möglicherweise abweichende Google-Ergebnisse in dieser Angelegenheit dankbar.

Ein Kommentar

  1. […] wir dieses Beispiel für eine „Plausibilitätslektüre“. Woran lässt sich festmachen, dass die Aussage zum Strafmaß so vermutlich nicht korrekt […]

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