Von Whistleblowern und Hinweisgebern

Wer (immer noch empfehlenswert) die regelmäßige Lektüre guter Tageszeitungen pflegt, wird immer häufiger auf Informationen zu EU-Richtlinien stoßen. Dies kann (und sollte hin und wieder) Anlass zu vertiefenden Explorationen sein. Versuchen wir es einmal mit dem folgenden Beispiel:

„Dabei zeigt sich in Europa die Wirkung der seit Dezember 2020 geltenden Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern, die Unternehmen und der öffentlichen Hand das Einrichten von Meldekanälen vorschreibt.“

Marcus Jung, Zäher Umgang mit Hinweisgebern, FAZ 22. Mai 2024, S. 16

Wo könnte da die Präzisierungs- und Ergänzungsarbeit ansetzen?

Zuerst beim Datum. Es ist richtig, dass Richtlinien ein Datum des Inkrafttretens haben. Dazu sagt Art. 28 der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden:

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Daneben gibt es aber noch ein zweites Datum. Dieses legt fest, bis wann die Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen haben. Dazu sagt Art. 26 Abs. 1:

Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 nachzukommen.

Betrachtet man diese Sachlage, so wird erkennbar, dass die Richtlinie den Mitgliedsstaaten etwas vorschreibt, nicht aber den „Unternehmen und der öffentlichen Hand“. Der Richtlinien-„Befehl“ legt also den Mitgliedsstaaten die Verpflichtung auf, im nationalen Recht die Regelungen der Richtlinie zu den Meldekanälen so auszugestalten wie die Richtlinie dies vorsieht. Dabei ist dann noch zu beachten, dass (entgegen dem Ausgangszitat) die Richtlinie nicht dazu verpflichtet, für alle Unternehmen eine Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle einzuführen. Das ergibt sich aus Art. 26 Abs. 2:

Abweichend von Absatz 1 setzen die Mitgliedstaaten hinsichtlich juristischer Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern bis zum 17. Dezember 2023 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Verpflichtung nach Artikel 8 Absatz 3, interne Meldekanäle einzurichten, nachzukommen.

Mittlerweile ist der deutsche Gesetzgeber der Verpflichtung aus der Richtlinie – wenn auch verspätet – mit dem Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden nachgekommen.

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