Translative Rechteübertragung: Ein weißer Schimmel?

Manchmal stolpert man bei der juristischen Studienlektüre über Begriffe, die man verstehen und lernen soll, und hält sich für begriffsstutzig, weil man Verständnisprobleme hat.

Ein solcher Begriff war für mich die „translative Übertragung“, die in Urheberrecht und gewerblichem Rechtsschutz eine Rolle spielt. Denn: „translativ“ ist abgeleitet von lateinisch „transferre“, was „übertragen“ bedeutet. Die „translative Übertragung“ ist also – wörtlich übersetzt – eine „übertragende Übertragung“, ein „weißer Schimmel“ eben. Ist „translativ“ als Zusatz vielleicht überflüssig?

Machen wir die Probe auf’s Exempel, indem wir einen Text betrachten, der die Thematik erklärt:

Da das Urheberrecht wie auch die einzelnen Verwertungsrechte in ihrem Kern beim Urheber bleiben, scheidet eine translative Übertragung, mit welcher das Recht vollständig auf den Erwerber übergeht, aus.

(Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 2015, § 29 Rn. 15)

Würden Präzision und Verständlichkeit dieses Textes leiden, wenn man das „translativ“ bei „Übertragung“ streichen würde? Wahrscheinlich nicht, denn dann stünde da:

Da das Urheberrecht wie auch die einzelnen Verwertungsrechte in ihrem Kern beim Urheber bleiben, scheidet eine translative Übertragung, mit welcher das Recht vollständig auf den Erwerber übergeht, aus.

(Streichung nicht im Original)

Was spricht dagegen, nach dieser Streichung von „translativ“ einfach von einer „vollständigen Übertragung“ zu sprechen? Kaum etwas. Aber wenn man das bis hierher durchdacht hat, hat man sich mit dem Begriff „translative Übertragung“ schon soweit vertraut gemacht, dass man studienmäßig fast auch mit ihm leben kann (aber vielleicht nicht mehr will).

P.S. Zur Beseitigung von Selbstzweifeln taugt übrigens auch in diesem Fall die Methode, den Belegfußnoten nachzugehen. Es fällt nämlich auf, dass im Kontext der Redeweise von der „translativen Übertragung“ oft auf von Tuhr Bezug genommen wird, so z.B. bei Pahlow (Lizenz und Lizenzvertrag im Recht des geistigen Eigentums, 2006, S. 248 Fn. 17: „v. Tuhr, AT II/1, S. 59ff.“) Bei v. Tuhr steht aber an der zitierten Stelle auf S. 59:

von Tuhr-Zitat

Da ist also gar nicht von einer „translativen Übertragung“ die Rede. Vielmehr wird die Rechtsnachfolge unter der genannten Voraussetzung als „translativ“ definiert. Von Tuhr stellt also die Kategorie der „translativen Rechtsnachfolge“ auf, nicht die der „translativen Übertragung“.

Wer immer die später oft kolportierte Formulierung von der „translativen Übertragung“ erfunden hat: Auf von Tuhr konnte er sich nicht berufen. Und der studentische Leser, der durch die „translative Übertragung“ in Selbstzweifel geraten ist, kann sich durch von Tuhr bestätigt sehen.

2 comments

  1. Besonders kritischer Leser sagt:

    Wenn Sie bei v. Tuhr nur ein paar Seiten weiterlesen, werden Sie aber auch den von ihm synonym gebrauchten Begriff der “translativen (Rechts-)Übertragung” finden. Diese Variante wird bei v. Tuhr auch vorher und nachher im Text immer wieder verwendet und gegenüber den Alternativen „translative Sukzession“ bzw. „translative Rechtsnachfolge“ bevorzugt.

    Sie werden ferner den Komplementärbegriff der “konstitutiven Sukzession/Rechtsnachfolge” bzw. (wiederum häufiger) “konstitutiven (Rechts-)Übertragung” finden, aus dessen Existenz zugleich erhellt, warum es schon zu Abgrenzungszwecken eines kennzeichnenden Attributs für die Vollübertragung des “Mutterrechts” bedurfte.

    Diese vor allem im Immaterialgüterrecht bis heute übliche Terminologie geht also in der Tat gerade auf v. Tuhr zurück, und sachlich rechtfertigen lässt sie sich auch.

    • klartext-jura sagt:

      Jetzt wird es richtig kompliziert, aber ich will versuchen, sogleich – nach nochmaliger Konsultation des von Tuhr-Textes – zu antworten.

      Der § 45 bei von Tuhr heißt „Translative und konstitutive Rechtsnachfolge“. Daraus lässt sich (wie ich durch mein Zitat im Blog-Eintrag belegt habe) ableiten, dass von Tuhr „translative Rechtsnachfolge“ und „konstitutive Rechtsnachfolge“ unterscheidet, die Adjektive „translativ“ und „konstitutiv“ also auf „Rechtsnachfolge“ bezieht.

      Bei der Rechtsübertragung (S. 61, besonders deutlich Fn. 12) fügt von Tuhr die Adjektive „total“ und „partiell“ hinzu. Das ergibt bis dahin das folgende begriffliche System: Die „Rechtsnachfolge“ kann „translativ“ oder „konstitutiv“ sein. Die „Rechtsübertragung“ kann „total“ oder „partiell“ sein.

      Wenn von Tuhr danach auch von „translativer Rechtsübertragung“ spricht, frage ich mich, ob er sich mit der „translativen Rechtsübertragung“ nicht in Widerspruch zu seiner ursprünglichen klaren Begrifflichkeit setzt.

      Die eigentliche Frage lautet nun aber – jenseits der von Tuhr-Philologie – ob es sinnvoll ist, von „translativer Rechtsübertragung“ zu sprechen. Das halte ich nach wie vor für einen „weißen Schimmel“. Dass „es schon zu Abgrenzungszwecken eines kennzeichnenden Attributs für die Vollübertragung des “Mutterrechts” bedurfte“ stelle ich übrigens nicht in Frage, sondern schlage dafür ja den Zusatz „vollständig“ vor.

      Für alle, die sich an dieser Debatte beteiligen möchten, habe ich hier den relevanten § 45 online gestellt.

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